Ich bin Chef, Kollege, Kummerkasten – aber nicht mehr ich selbst Wenn Führung zur Zerreißprobe wird

Führungskräfte sind vieles: Strategen. Entscheider. Motivatoren. Mentoren. Konfliktmanager. Manchmal auch Blitzableiter. Doch je mehr Rollen sie gleichzeitig einnehmen müssen, desto größer wird die Gefahr. Irgendwann bleibt vielleicht von der eigenen Führungspersönlichkeit nicht mehr viel übrig.
Viele Führungskräfte berichten in Coachings:
"Ich bin für alles und alle da, aber ich habe das Gefühl, mich selbst dabei zu verlieren."
Dieser Beitrag beleuchtet, wie Rollenkonflikte entstehen, warum sie so belastend sind und wie Sie Klarheit, Abgrenzung und Authentizität zurückgewinnen können.
1. Der unsichtbare Spagat: Warum Führung heute komplexer ist denn je
Die Erwartungen an Führungskräfte haben sich stark verändert. Gefragt sind heute nicht mehr nur fachliche Autorität, sondern auch emotionale Intelligenz, Nahbarkeit, Kommunikation auf Augenhöhe. Das ist gut, aber auch enorm kräftezehrend.
Wenn Sie gleichzeitig:
- Ziele kontrollieren,
- Konflikte moderieren,
- Empathie zeigen,
- Mitarbeitende entlasten,
- Vorbild sein,
- sich selbst reflektieren sollen,
...dann ist das kein Führungsstil mehr. Das ist ein Rollenspiel, in dem man sich permanent widerspricht.
2. Was genau ist ein Rollenkonflikt?
Ein Rollenkonflikt entsteht, wenn Sie mehreren (teils widersprüchlichen) Erwartungen gleichzeitig gerecht werden sollen. Etwa:
- loyal gegenüber dem Unternehmen sein, aber auch für die Bedürfnisse Ihres Teams einstehen.
- empathisch zuhören, aber auch klare Leistung einfordern.
- nahbar sein, aber auch Grenzen setzen.
Das Problem: Je mehr Rollen Sie gleichzeitig bedienen, desto höher ist das Risiko, dass Sie sich selbst nur noch reagierend statt gestaltend erleben.
3. Typische Symptome, an denen Sie Rollenkonflikte erkennen
- Innere Zerrissenheit: "Ich kann es niemandem recht machen."
- Schlechtes Gewissen: "Ich vernachlässige entweder mein Team oder meine Ziele."
- Abnehmende Energie: "Ich fühle mich wie ausgesaugt."
- Verlust von Klarheit: "Ich weiß gar nicht mehr, wofür ich stehe."
- Steigende Reizbarkeit: "Kleinigkeiten bringen mich aus der Fassung."
All das sind keine Führungsschwächen. Es sind Anzeichen für eine überlastete Rollendynamik.
4. Warum dieser Konflikt so schwer zu lösen ist
Viele Führungskräfte sind stark im Aushalten. Sie balancieren unterschiedliche Erwartungen, ohne sich zu beschweren. Doch je länger dieser Zustand anhält, desto eher passiert Folgendes:
- Sie identifizieren sich nicht mehr mit Ihrer Funktion.
- Sie ziehen sich emotional zurück.
- Sie reagieren nur noch, statt zu führen.
- Sie verlieren das Vertrauen in Ihre Wirkung.
Kurz gesagt: Sie brennen innerlich aus, lange bevor Sie krank werden.
5. Was Sie tun können – ohne gleich alles zu hinterfragen
Nicht jede Rollenspannung lässt sich auflösen. Aber Sie können lernen, sie rechtzeitig zu erkennen, zu benennen und zu steuern. Hier einige konkrete Schritte:
a) Reflexion: Wer sind Sie in dieser Rolle – und wer nicht?
Fragen Sie sich:
- Welche Rolle ist mir zugewachsen, ohne dass ich sie bewusst angenommen habe?
- Wo verhalte ich mich aus Pflichtgefühl, aber nicht aus Überzeugung?
- Welche meiner Rollen stärkt mich? Welche erschöpft mich?
b) Grenzen ziehen: Klar kommunizieren, was nicht (mehr) leistbar ist
Je klarer Sie kommunizieren, wo Ihre Rolle beginnt und aufhört, desto besser können andere ihre Verantwortung übernehmen.
Beispiel: Statt "Meine Tür steht immer offen" sagen Sie:
"Ich nehme mir gezielt Zeit für Gespräche, aber nicht zwischen zwei Meetings."
c) Rollenklarheit im Team schaffen
Führung ist Beziehungsarbeit. Wenn Sie Rollen klären, helfen Sie auch Ihrem Team, zu verstehen:
- Was ist Ihre Aufgabe, und was nicht?
- Wo sind Sie Entscheider, wo Zuhörer, wo Coach?
- Wann sind Sie Mensch, wann Leitung?
d) Prioritäten neu setzen
Nicht jede Aufgabe verdient denselben Energieeinsatz von Ihnen. Sortieren Sie Ihre jeweiligen Rollen nach:
- Was ist wesentlich?
- Was ist delegierbar?
- Was ist Erwartung, aber nicht Pflicht?
Führung darf fokussieren – nicht nur liefern.
e) Coaching oder Sparring nutzen
Ein externer Blick hilft, blinde Flecken zu erkennen und Muster zu durchbrechen. Coaching ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Mittel zur Rollenstärkung und Selbstführung.
6. Was sich verändert, wenn Sie sich wieder als Person fühlen
Führung wird wieder klarer. Nicht einfacher, aber stimmiger. Sie:
- kommunizieren authentischer,
- reagieren weniger, agieren mehr,
- behalten Ihre Energie auch in Krisen,
- werden als souveräner und gleichzeitig menschlicher wahrgenommen.
Kurz: Sie führen nicht mehr nur eine Rolle, sondern Sie führen endlich wieder als die Person, die Sie sind.
Fazit: Ihre Rolle darf komplex sein. Aber nicht selbstzerstörerisch.
Rollenklarheit ist kein Luxus, vielmehr ist sie Voraussetzung für gesunde, wirksame Führung. Wenn Sie sich dabei untergehen sehen, lohnt sich ein Moment der Reflexion. Oder ein strukturiertes Gespräch mit einem Sparringspartner.
Sie müssen nicht alles auflösen.
Aber Sie dürfen anfangen, sich wieder selbst ernst zu nehmen.
Christian Schultze
Online-Kurzzeitcoaching für Führungskräfte mit Anspruch
www.cs-insight-coaching.de
info@cs-insight-coaching.de